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Mittwoch, 21. Oktober 2020

Mit eigener Kollektion: So trotzt ein Uhrmachermeister der Industrie

 Deutsche Handwerkszeitung 19.10.2020 

Uhrmachermeister Ulrich KriescherMit eigener Kollektion: So trotzt ein Uhrmachermeister der Industrie

Ulrich Kriescher aus Würselen nutzte die Zeit des Corona-Lockdowns und entwarf seine erste eigene Uhrenlinie – mit überraschendem Erfolg. Warum der Uhrmachermeister dabei auf Individualität setzt und sich so auch von den großen Herstellern absetzen will.

Nur wenige Stunden brauchte es, da waren sie bereits vergriffen: die ersten Armbanduhren der eigenen Uhrenlinie von Ulrich Kriescher. "Ich habe insgesamt vier Uhren gebaut: zwei für meine Familie, eine für mich und eine, die ich verkaufen wollte. Auf Instagram habe ich Fotos davon gepostet. Zu meiner Überraschung habe ich innerhalb von 48 Stunden alle vier Uhren verkauft", so der Uhrmachermeister. Ein Erfolg, der den Inhaber von Uhren Kriescher in Würselen bei Aachen dazu ermutigte, weitere Modelle zu fertigen. Heute sind die Armbanduhren, die als Markenzeichen die Aufschrift "Kriescher 1929" tragen, fester Bestandteil seines Angebots. Mit seiner eigenen Kollektion will der Uhrmacher seinen Kunden aber nicht nur individuelle Produkte bieten, sondern sich auch von der Uhrenindustrie absetzen.

Mehr Unabhängigkeit von Großkonzernen

In seinem Fachgeschäft mit rund 800 Quadratmetern Ausstellungsfläche bietet Kriescher ein umfangreiches Uhrensortiment, zu dem neben Wand- und Standuhren auch Armbanduhren sowie eine Uhrenwerkstatt gehören. Den Betrieb gibt es seit 1929. Das Uhrmacherhandwerk ist fester Bestandteil der Familie Kriescher: sechs Uhrmacher aus drei Generationen sind hieraus hervorgegangen. Auch Ulrich Kriescher liebt seine Arbeit: "Vor allem das ruhige und präzise arbeiten", schwärmt er. Trotzdem, so erzählt er, machen die im Handwerk bekannten Probleme auch vor seinem Gewerk keinen Halt. Neben dem Fachkräftemangel sei das vor allem die Marktmacht der Uhrenindustrie, speziell aus der Schweiz: "Wer Reparaturen Schweizer Uhrenmarken in Deutschland anbieten will, muss sich offiziell als Servicewerkstatt zertifizieren lassen. Diese Zertifizierungen kosten viel Geld und müssen bereits nach einigen Jahren erneuert werden."

>>> Lesetipp: Wie die Marktkonzentration das Handwerk trifft

Kriescher beschloss, selbst aktiv zu werden, um sich mehr Unabhängigkeit von diesem System zu schaffen: "Den Traum einer eigenen Uhrenkollektion hatte ich schon lange, aber mir fehlte die Zeit", so der Handwerker, der schon als Uhrenexperte in der ZDF-Fernsehsendung "kaputt und zugenäht" fungierte. Denn sein Geschäftsalltag sei wie der vieler Uhrenmacher vor allem durch den Verkauf und die Reparatur von Uhren geprägt. Als es Mitte März 2020 zum Corona-Lockdown kam und er sein Geschäft vorübergehend schließen musste, fand er erstmals genügend Zeit, um seine Idee umzusetzen. 

Uhr mit Formel 1-Faktor

Der Weg von den ersten Prototypen zur fertigen Kollektion sei jedoch nicht einfach gewesen. "Besonders schwierig war es, einen Materiallieferanten für eine so kleine Uhrenlinie zu finden. Ich musste am Anfang deshalb viel telefonieren und regelrecht 'betteln'", erzählt Kriescher.

Uhr der Kollektion von Uhrmacher Ulrich Kriescher.

Gelohnt habe es sich aber allemal – und das nicht nur, weil die ersten Stücke schnell begeisterte Abnehmer fanden: "Ein Uhrenliebhaber hat sogar eine Fahrt von 400 Kilometer auf sich genommen, um sich eine 'Kriescher-Uhr' zu kaufen", erzählt der Uhrmacher. Das Besondere an seiner handgefertigten Kollektion sei nicht nur die handwerkliche Präzession, sondern auch die Einzigartigkeit jedes Stücks: "Die Käufer können sich ihr Band selbst aussuchen und auch eine Gravur ist möglich", so Kriescher. Das i-Tüpfelchen seiner Linie finde sich jedoch auf der Rückseite der Uhren: Verzierungen in Form von Zierschliffen, von Experten auch als 'Genfer Streifen' bezeichnet, sorgen hier für den edlen Touch. In der Uhrenbranche stehen sie seit hunderten von Jahren für eine besonders hohe Qualität.

Auch speziellere Kundenwünsche setzt Kriescher gerne um. "Ein Kunde hat sich etwa eine Uhr aus komplett schwarzem Gehäuse gewünscht", berichtet er. Der Uhrenliebhaber, der bei der Formel 1 arbeitet, half prompt selbst dabei, dass passende Material dafür zu besorgen – nämlich über seinen Arbeitgeber. Entstanden ist eine Armbanduhr aus 'Diamond like Carbon', einem diamantartigen Kohlenstoff. Kriescher, der sich auch im Aachener Arbeitskreis der junger Handwerksunternehmer engagiert, freut sich, dass er so sein Netzwerk vergrößern konnte:"So kann ich meinen Kunden immer etwas Neues bieten."

Leidenschaft für eigene Uhrenlinie ist Voraussetzung

Kann Kriescher auch anderen Uhrmachern empfehlen, eine eigene Uhrenlinie zu entwerfen? "Ja, aber nur, wenn sie auch eine wirkliche Passion dafür haben", rät er. Man müsse nicht nur besonders ideenreich sein, sondern neben dem alltäglichen Geschäft auch viel Zeit investieren. Zudem rät der 47-Jährige, nicht alles auf eine Karte zu setzen, sondern das Geschäft mit einer eigenen Kollektion zunächst nebenher laufen zu lassen.  

Auch das richtige Marketing gehöre dazu: Werbung für seine Armbanduhren macht Kriescher auch auf seinem Instagram-Kanal – hier werde er immer wieder von Interessierten angeschrieben. Mittlerweile hat er circa 20 Uhren seiner Eigenmarke verkauft – im Durchschnitt kosten diese 1.295 Euro. Bis eine Uhr komplett fertig gestellt ist, benötigt er insgesamt circa vier Wochen Zeit. Derzeit arbeitet Kriescher aber nicht nur fleißig an seiner Kollektion. "Ideen habe ich genug", so der Handwerker. Sein Plan ist es, eine ganz spezielle Uhr herzustellen – was genau das für eine ist, wollte er aber noch nicht verraten.


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